Sisters Red | Jackson Pearce | Little Brown Books | Englisch | Hardcover | ca. 14€ | Kaufen?
Sobald der erste Schnee fällt, sobald der nächste
Regenschauer sich ankündigt, oder es draußen stürmig ist, ist für mich
Märchenzeit. Schon als kleines Kind habe ich es geliebt, im schwachen
Lichtschein unter der Decke den Worten von Grimm und Co zu laschen, während
draußen unruhig das Wetter meine Hintergrundmusik war. Auch noch jetzt bekomme
ich Appetit auf Märchen, wenn das Regen und Schnee mich zum Lauschen einladen.
Doch diesmal greife ich zu modernen Märchen, in der Hoffnung, in ihnen das Kind
in mir wiederzufinden, verzaubert zu werden, und schließlich genauso viel Wärme
zu spüren, wie damals.
Mit Sisters Red habe ich ein Retelling meines
Fast-Lieblings-Märchens gelesen: Rotkäppchen. Rotkäppchen ist für mich einfach
kindlicher Übermut, Neugierde, aber auch dunkle Wälder, gefletschte Zähne,
Angst und das unruhige flüstern der Bäume. Diese Dinge haben mich als Kind
begleitet, und diese Dinge habe ich auch in Sisters Red gesucht. Allerdings ist
Sisters Red in vielerlei Hinsicht ein anderes Retelling, als man es so kennt.
Es geht um die Schwestern Scarlett und Rosie, die im
Kleinkindalter ihre Großmutter haben sterben sehen. Durch die Zähne eines
Fenris, einer Werwolfartigen Gestalt, die den Schwestern nicht nur das zu Hause
nahmen, sondern Scarlett für den Mut, ihre Schwester zu beschützen, ihr Auge
und Unschuld. Nun, Jahre später, sind die beiden Jägerin, immer auf der Suche
nach dem nächsten Fenris, um ihn zu töten.
Was nach einem ziemlich stereotypen Jugendbuch klingt,
entwickelt sich sehr schnell in etwas viel tieferes. Das Buch möchte keine
Geschichte erzählen, in der zwei Schwestern mit einem Typen Werwölfe
abschlachten, es möchte keine Geschichte erzählen, über eine unsterbliche Liebe
oder heiße Werwölfe, die sich Muskelbepackt um ein Mädchen reißen. In diesem
Buch geht es um zwei Schwestern, die March Schwestern, beide benannt nach
Rottöne, die ihre Persönlichkeit einfangen.
Zum einen haben wir Scarlett, Scharlachrot. Scarlett ist wie
der Rotton, intensiv, leidenschaftlich, wild und ungestüm. Sie ist aufbrausend
und hingebend, wütend und zornig, aber dabei sehr faszinierend. Sie ist eine
Kämpferin und hat einen unbrechbaren Willen. Doch Scarlett ist auch verletzt.
Entstellt durch einen Wolf, gezeichnet von dem frühen Trauma in ihrer Kindheit,
und getrieben von einem einzigen Gedanken: Rosie beschützen, Fenris töten. Was
mir dabei an ihr gefallen hat: Scarlett ist nicht perfekt, sie ist kein Vorbild
und erst Recht keine gute Seele. Scarlett ist aber hundertprozentig sie selbst.
Mit all ihren Obsessionen, ihren Wahnsinn, ihrer Leidenschaft für die Jagd, ihr
blinder Hass gegen die Fenris, ihr täglicher Kampf um die Unwissenden zu
schützen. Und genau darin finden wir Scarletts gute Seite: Sie sieht es als
ihre Aufgabe, ihr Leben darauf zu verwenden, Wölfe zu töten, da sie weiß, dass
es diese gibt, und dieses Wissen die Verantwortung mit sich bringt, andere zu
retten.
Aber dann haben wir Rosie, Zartrosa. Wie ein zarte Blume ist
Rosie das Nesthäkchen. Schüchtern, demütig und immer auf der Suche, sich zu
beweisen. Unschuldig, unsicher, herrlich jugendlich und freundlich. Rosie ist
diejenige, die sich Scarlett verschrieben fühlt, als ihre Schwester, als
diejenige, für die Scarlett ihr Leben riskiert hat. Sie ist eine Jägerin aus
Schuld, nicht aus Überzeugung, und jagt, um ihrer Schwester für ihr Leben zu
danken. Doch eigentlich möchte Rosie viel mehr. Sie möchte reisen, und die Welt
erkunden, sie verlieben, Origami lernen, oder einfach nur für einen Tag normal
sein. Doch darf man sein Leben selbstsüchtig leben, wenn man mit seinem Talent
und Wissen unzählige unschuldige retten könnte?
Durch unsere so unterschiedlichen Protagonistinnen haben wir
einen großartigen Konflikt, der das ganze Buch über für viele
Auseinandersetzungen führt, und der am Ende nicht mit einem moralischen Apell
gelöst wird. Das Buch lässt die beiden Schwester auf ihrer Reise zu sich selbst
und zueinander durch viele Stolperfallen laufen, sich im Kreis bewegen und
aneinander vorbei rennen, nur um Ende zu zeigen, dass es keine eindeutige
Lösung gibt. Dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden muss, wofür er
Verantwortung übernehmen will und wie er sein Leben leben will.
Und trotz diesen komplexen und wunderbar aufbereiteten
Konflikt kommt die Story nicht zu kurz. Wir haben unglaublich viele Kampfszenen
im Buch, praktisch die ganze Zeit passiert etwas, taucht etwas aus, muss
entschlüsselt werden. Und dabei kommt man manchmal so vom Geschehen ab, dass
sogar für mich der eigentlich so offensichtliche Plottwist ziemlich
überraschend kam.
Trotzdem hat das Buch auch seine negativen Aspekte, kleine
Unstimmigkeiten, die mich etwas traurig gemacht haben. Sei es Insta-Love oder
unnötige Szene, die einfach nur die Harmonie des Buches eine Dissonanz versetzt
haben. Die mir einfach zu langweilige, zu übertreiben, zu sehr aus der Story
gerissen waren, und ohne die das Buch sicher ein Highlight gewesen wäre.
Sister Reds ist so unterschiedlich und facettenreich wie die
Rottöne im Farbkreis. Wir haben viel Scharlachrot – blutige Kämpfe, erregte
Konversationen, intensive, leidenschaftliche Schilderungen, außerdem hier und
da etwas dunkelrot, ruhigere, melancholisch, manchmal schon fast philosophische
Szene, und zartrosa Momente, die die Zärtlichkeit des Momentes und das tiefe
Band zweier Schwester, die sich ein Herz teilen, einfängt. Das Buch ist kein
Buch über Wölfe, rote Mäntel und tiefe Wälder. Es ist ein Buch über zwei Schwestern,
die unterschiedlicher und gleicher nicht sein könnten. Es ist ein Buch über die
Frage, welche Verantwortungen man im Leben für sich und andere hat, um Schuld
und Einsamkeit, Wissen und Willensstärke, Familie und zwei Seelen, die nicht
nur zueinander, sondern auch zu sich selbst finden müssen. Wer also über
Insta-Love und einige Unstimmigkeiten hinwegsehen kann, wird mit Sisters Red
zwei wunderbare Charaktere und einen Konflikt, der zum Nachdenken veranlasst,
kennenlernen. Ich vergebe 4 Sterne.
Huhu liebe Kücki,
AntwortenLöschenich bin immer wieder beeindruckt, was für passende Worte du einfach findest.
Die Rezension ist einfach in allem wunderschön geschrieben, wie alles ineinander übergreift und wie du am Ende die Rottöne nochmal aufgreifst. Wirklich toll :)♥︎
Und auf das Buch hast du mich auch sehr gespannt gemacht. Ich bin ein ziemlicher Fan von solchen Neuerzählungen, vorallem die Luna Chronike haben es mir angetan.
Liebste Grüße
Hannah