Mittwoch, 10. Mai 2017

|Rezension| "Couchsurfing im Russland" von Stephan Orth

Couchsurfing in Russland | Stephan Orth | Piper bzw. Malik Verlag | Deutsch | Klappbroschur | ca. 17€ | Kaufen?
  
Oligarchen und Kartoffelbauern, Kalaschnikows und eingemachte Gurken, orthodoxe Christen und Hippies – Stephan Orth, seit über zehn Jahren als Couchsurfer unterwegs, begibt sich auf die Suche nach dem wahren Russland, jenseits von dem, was Nachrichten und Propaganda daraus machen. Er fährt von Moskau über Wolgograd bis Grosny im Süden, von Jekaterinburg über Irkutsk und den Baikalsee nach Wladiwostok im Osten. Dabei stößt er nicht nur auf Putinanhänger, Waffennarren und wodkabeseelte Machos, sondern auch auf viel Herzlichkeit, unentdeckte Attraktionen und großartige Landschaften. Von Couch zu Couch, von Gastgeber zu Gastgeber ergibt sich ein differenzierteres und persönlicheres Bild. Mitreißend erzählt Stephan Orth von haarsträubenden Abenteuern und überraschenden Begegnungen.

 
Obwohl es nicht so richtig gut zu dem Buch passt, ist dieses Cover dennoch einfach ein richtig schönes Reiselied

 
Ich liebe es, zu reisen, und wie man unschwer in letzter Zeit auf meinem Blog merken konnte, verliebe ich mich auch immer mehr in das Genre der Reiseliteratur. Unter den wenigen Büchern, die ich bisher aus dieser Sparte gelesen habe, hat sich vor allem schon ein Name sehr bei mir eingebrannt: Stephan Orth, ein couchsurfender Journalist der Reiseromane über seine Erlebnisse in bestimmten Ländern schreibt. Dabei sind dies oft Länder, die in den Medien sehr kontrovers oder gar negativ proklamiert werden. Trotzdem zeigte er mir in seinem Buch „Couchsurfing im Iran“, wie viel Wärme und Herzlichkeit sich hinter der Fassade eines Landes befindet, das nur auf seine Politik reduziert wird. Ein Land, welches wohl in den letzten Jahren mit am meisten in den Medien kritisiert wurde, ist Russland, dieses riesige Land, von dem die meisten von uns wohl nur kennen, was sie in Medien oder Russlandfilmen gesehen haben. Schwere Winter in Sibirien, Bären, Matroschkas und vor allem eins: Wodka. Gerade wegen diesem doch sehr klischeebehafteten Bild von Russland zog es Stephan Orth genau an diesen Ort und mich in sein Buch über seine Erlebnisse dort.


In dem Buch geht es, wie gesagt, um Stephan Orths Erlebnisse auf seiner 10wöchigen Reise durch Russland, die ihn quer durch das Land führte, zu allen möglichen und unmöglichen Orten, unzähligen verschiedenen Gastgebern und der Erkenntnis, dass Russland ganz anders ist, als wir glauben.


Was ich besonders an Orths Bücher liebe, ist, wie er es schafft, ein Land in unglaublich vielen Facetten zu zeigen. Gerade in diesem Buch über Russland, dem größten Land der Erde, schafft er es trotz des doch recht geringen Seitenumfang des Werkes ein unglaublich vielschichtiges Bild von Russland zu zeichnen. Während er von Moskau bis nach Wladiwostok reist, erlebt er so viele verschiedenen Seiten des Landes, viele davon Facetten, die man so noch gar nicht kannte. Dabei nimmt er den Leser mit viel Humor und Wärme an die Hand, führt ihn durch das Russland, wie er es kennengelernt hat und eröffnet den Leser damit eine Verbindung zu Orten und Menschen, über die er so noch nie nachgedacht hat. Hierbei liebe ich besonders die Anekdoten und lebendigen Beschreibungen, die er nutzt, um diese Vielfalt von Russland zu beschreiben. Man glaubt förmlich, mit Orth gemeinsam durch dieses kunterbunte Land zu reisen, so lebendig und farbenfroh sind seine Berichte von dem, was er in 10 Wochen herumreisen dort erlebt hat.


Dabei finde ich es besonders schön, wie er ganz klar die Menschen und ihren Alltag in den Mittelpunkt stellt. Es geht nicht darum, welche Sehenswürdigkeiten er besucht hat oder welche Dörfer er genau abgeklappert hat, sondern es geht um die Menschen, die er dort trifft und deren Leben und Alltag er als Couchsurfer für wenige Tage miterleben darf. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wer sind die Russen? Was ist eigentlich Russisch? Und warum ist das Land so fasziniert und begeistert von Wladimir Putin? Gerade durch diese zentralen Fragen zeigt er eine ungemeine Vielfalt an Meinungen und Ideen, die die verschiedenen Russen, die er trifft, haben und beweist damit wieder einmal, dass man unmöglich eine ganze Nation, und schon gar nicht so eine riesige und unterschiedliche wie Russland, über einen Kamm scheren darf.


Natürlich geht mit diesen Fragen und insgesamt mit einer Russlandreise auch ein politischer Aspekt einher. Hier bin ich froh, dass Orth diesen nicht einfach übergeht, um sein Buch möglichst leicht und fluffig zu halten, sondern gezielt hat Weltpolitische und Aktuelle Themen eingeht, ohne dabei aber den moralischen Zeigefinger zu heben. Er zeigt, er ist nicht in Russland, um zu bewerten oder zu urteilen, sondern er will versuchen, so gut wie möglich zu verstehen und sich sein eigenes Bild machen, in einer Welt, in der die Wahrheit in den seltensten Fällen wirklich klar ist. Dabei gibt er den Leser eine Vielzahl von interessanten Denkanstößen, fordert ihn dazu auf, selbst nachzudenken und sich sein eigenes Bild zu machen und zu schlussfolgern, wie er Russland sieht. Wobei natürlich für ihn feststeht, dass selber bereisen und nachfragen die beste Möglichkeit ist, sich eine Meinung zu bilden.


Sowieso bekommt man auch bei diesem Buch wieder unheimlich Fernweh, nicht nur auf Russland, sondern insgesamt auf das Reisen, auf das Entdecken von fremden Ländern und fernen Kulturen, auf das Kennenlernen von Menschen von überall her, um diese riesige Welt ein bisschen besser zu verstehen. Man merkt einfach, dass Stephan Orth für das, was er tut, brennt und das Reisen etwas ist, was ihm am Herzen liegt. Und diese Mischung aus Berichten von seinen Russlandabenteuern plus seine unglaubliche Leidenschaft für das Reisen und Entdecken an sich, welche man auf jeder Seite spürt, ergeben eine einmalige Mischung aus Fernweh, welche den Leser dazu bringt, am liebsten sofort seine eigene Reise planen zu wollen.


Besonders schön fand ich es auch, dass man, wenn man bereits den ersten Band von Stephan Orths Couchsurfing-Büchern gelesen hat, in diesem Buch einige kleine Insider beziehungsweise Dinge wiederfindet, die schon im ersten Teil von Bedeutung waren, wie zum Beispiel das Lübecker Marzipan als Gastgeschenk oder Orths Philosophie, so oft „Ja!“ wie möglich zu sagen. Dies verstärkt zudem das Gefühl, nicht nur ein Buch zu lesen, sondern irgendwo in Russland mit Stephan Orth unterwegs zu sein und seinen Geschichten zu lauschen. Sowieso wirkt das Buch unglaublich persönlich und eigen und sorgt dafür, dass Orth Russland in seinen ganz eigenen Farben malt, was den Leser aber nur dazu bringt, noch viel dringlicher sein eigenes Bild kreieren zu wollen.


Den einzigen Kritikpunkt, den ich anbringen möchte, ist ebenfalls ein eher persönlicher: Denn so genial wie ich dieses Buch fand, ich muss zugeben, dass es mich leider nicht derart begeistert hat, wie sein Iran-Buch. Ohne Frage, ich habe „Couchsurfing in Russland“ geliebt, aber war leider nicht ganz so euphorisch und vollends begeistert, wie bei seinem ersten Buch, was aber daran liegt, dass ich zum einen den Nahen Osten als Region unglaublich faszinierend und spannend finde, noch viel mehr als Russland, und zum anderen durch meine Zeit in Israel irgendwie eine persönlichere Bindung hatte, da mich seine Geschichten der Iraner so sehr an meine eigenen Geschichten über die Israelis erinnert haben. Damit ist dies eigentlich kein richtiger Kritikpunkt, soll aber erklären, warum ich dem Buch keine vollen 5 Sterne gebe.

Insgesamt hat Stephan Orth erneut einen wundervollen Reiseroman geschrieben, der so viel mehr ist, als nur ein Reiseroman. Orth versteht es, den Leser in ein Land mitzunehmen, mit ihm gemeinsam auf seine Abenteuer zu gehen, dieses wunderbare Land zu erkunden. Mit viel Humor, Herzlichkeit und seiner ganz eigenen Begeisterung fürs Reisen führt Orth einen dabei durch ein vielschichtiges, unglaublich facettenreiches Russland, bei dem nicht touristische Angebote, sondern die Menschen im Vordergrunge stehen. Er nimmt uns mit in ihren Alltag, ihr Leben und zeigt uns damit ein überraschend anderes Russland, das sehr im Kontrast zu dem Land steht, welches wir tagtäglich in den Medien. Dabei ist er auch immer darauf bedacht, aktuelle politische Themen in seine Reiseberichte mitaufzunehmen, was das Buch noch relevanter und wichtig werden lässt, als eh schon ist. Ein wundervolles, interessantes, brandaktuelles Buch, das ich jedem empfehlen kann! Ich vergebe 4,5 von 5 Sterne.

 

*Vielen Dank an den Piper Verlag für die Bereitstellung dieses Rezensionexemplares 

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